Mittwoch, 5. März 2014

Akshara Mana Malai



Die Hochzeitsgirlande aus Buchstaben (Akshara Mana Malai)

Einige von Sri Ramanas Anhänger gingen täglich nach Tiruvannamalai hinunter, um Nahrung zu erbetteln. Eines Tages baten sie ihn, für sie ein Lied zu dichten, das sie währenddessen singen konnten. Zunächst lehnte er den Vorschlag ab und meinte, es gäbe bereits viele Lieder von den alten Shiva-Heiligen. Als sie ihn jedoch weiter bedrängten, schrieb er 1914 „die Hochzeitsgirlande aus Buchstaben“, ein Lied aus 108 Strophen, nach denen jeweils der Refrain folgt. Von nun an sangen die Devotees dieses Lied auf ihren Bettelgängen in die Stadt, was sie als Anhänger Ramanas auswies. Das Lied wurde sehr beliebt.

Die Hochzeitsgirlande aus Buchstaben ist ein typisches Bhakti-Gedicht, das von der verzehrenden und ringenden Liebe der menschlichen Seele zu Gott (hier Arunachala) erzählt und auch das persönliche Erleben Ramanas widerspiegelt. Arunachala Akshara Mana Malai bedeutet Hochzeitsgirlande aus Buchstaben für Arunachala: mana = Hochzeit, akshara = Buchstaben. Es ist die Hochzeitsgirlande, die die Braut (die menschliche Seele) ihrem Bräutigam (Arunachala) windet. Die 108 Verse entsprechen der Anzahl der Perlen einer Gebetskette, aber auch der 108 Namen Shivas. Die Doppel- oder Mehrdeutigkeit der Verse ist eine Eigenart der tamilischen Dichtung.

Als Grundlage dieser Übersetzung dient die Version in den „Collected Works of Sri Ramana Maharshi“. Zuweilen wurde auch die Übersetzung von TMP Mahadevan als Alternative in den Fußnoten eingefügt.

Einführung von Sri Munuganar
Diese freudige Hochzeitsgirlande aus Buchstaben, die den Strahlen der aufgehenden Sonne gleicht, wurde vom edlen Weisen Ramana, dem Meer der Barmherzigkeit, gesungen, um seine Verehrer, die seine Gnade suchen, von der Täuschung zu befreien. Jene, die sie als ihre einzige Zuflucht betrachten, werden in sich erkennen, dass sie Arunachala sind und in der Welt Shivas herrschen.

Anrufung
Gnädiger Ganapati[1], segne mich mit Deiner gnadenreichen Hand, damit diese Hochzeitsgirlande aus Buchstaben Sri Arunachala, meinem Bräutigam, würdig ist.

Refrain
Arunachala Shiva, Arunachala Shiva,
Arunachala Siva, Arunachala!
Arunachala Shiva, Arunachala Shiva,
Arunachala Siva, Arunachala!

1a. Du entwurzelst das Ego-Ich derer, die im Herzen über Dich meditieren, oh Arunachala!
1b. Arunachala, Du entwurzelst das Ego-Ich derer, die denken, dass sie mit Dir im Geiste eins sind,  oh Arunachala!
2. Mögen Du und ich eins und untrennbar sein wie Alagu und Sundara, oh Arunachala![2]
3. Du kamst zu mir (in mein Haus) und locktest mich zu dir. Warum hast Du mich in Deiner Herzenshöhle eingeschlossen, oh Arunachala?
4. War es zu Deiner Freude oder um meinetwillen, dass Du mich gewonnen hast? Wenn Du mich jetzt verstößt, wird die Welt es Dir zum Vorwurf machen, oh Arunachala!
5. Entrinne diesem Tadel! Warum hast Du Dich mir in Erinnerung gebracht? Wie könnte ich Dich jetzt noch verlassen, oh Arunachala?
6a. Deine Güte ist größer als die der eigenen Mutter. Ist das Deine allumfassende Güte, oh Arunachala?
6b. Deine Güte ist größer als die der eigenen Mutter. So ist Deine Liebe, oh Arunachala!
7a. Sei fest in meinem Geist gegründet, damit er sich Dir nicht entzieht, oh Arunachala!
7b. Verändere nicht Dein Wesen und fliehe, sondern sei fest in meinem Geist, oh Arunachala!
7c. Sei wachsam in meinem Geist, damit er nicht selbst Dich (in mich) verwandelt und sich davonmacht, oh Arunachala!
8a. Zeige dem launischen Geist Deine Schönheit, damit er Dich für immer sieht und (in Frieden) ruht, oh Arunachala!
8b. Die Dirne Geist wird aufhören, die Straßen auf- und abzuwandern, wenn sie Dich findet. Enthülle ihr dann Deine Schönheit und binde sie an Dich, oh Arunachala!
8c. Durch seine Unstetigkeit verhindert der Geist, dass ich Dich suche und Frieden finde. (Halte ihn fest und) gewähre mir den Anblick Deiner Schönheit, oh Arunachala!
9. Wenn du mich jetzt nicht umarmst, nachdem Du mich entführt hast, wo bleibt da Deine Männlichkeit, oh Arunachala!
10. Gehört es sich für Dich, dass Du schläfst, wenn andere mich von Dir wegziehen, oh Arunachala?
11. Auch wenn die Diebe der fünf Sinne mich überwältigen, bist Du nicht selbst dann in meinem Herzen, oh Arunachala?
12. Du bist das Eine ohne ein Zweites. Wer könnte es da wagen, Dir zu entschlüpfen und einfach hereinzukommen? Es ist nur Dein Spiel, oh Arunachala!
13. Du bist die heilige Silbe OM. Du bist unvergleichlich und einzigartig. Wer kann Dich begreifen, oh Arunachala?
14. Als Mutter (des Universums) ist es Deine Pflicht, mir Deine Gnade zu schenken und mich zu retten, oh Arunachala!
15a. Wer kann Dich jemals finden? Du bist das Auge des Auges und siehst ohne das Auge, oh Arunachala!
15b. Da Du das Sehen der Augen bist, finde mich auch ohne die Augen! Wer (außer Dir selbst) kann Dich erschauen, oh Arunachala?
16. Wie ein Magnet Eisen anzieht, es magnetisiert und festhält, zieh mich an und lass nicht mehr von mir ab, oh Arunachala!
17. Du (unbeweglicher) Berg, der Du als Meer der Gnade dahinschmilzt,[3] schenke mir die Fülle Deiner Gnade, oh Arunachala!
18. Du feuriger Edelstein, der in alle Richtungen strahlt, verbrenne meine Niedertracht, oh Arunachala!
19. Erstrahle als mein Meister, befreie mich von Fehlern und mach mich Deiner Gnade würdig, oh Arunachala!
20. Rette mich aus den grausamen Fallstricken verführerischer Frauen und ehre mich durch die Vereinigung mit Dir, oh Arunachala.[4]
21. Obwohl ich Dich anflehe, bist Du hartherzig und gibst nicht nach. Bitte, sag zu mir: „Fürchte dich nicht!“, oh Arunachala!
22. Du gibst, ohne dass man Dich darum bitten muss. Das ist Dein unvergänglicher Ruhm. Mach Deinem Namen keine Schande, oh Arunachala!
23. Du süße Frucht in meiner Hand,[5] lass mich vor Ekstase verrückt und vor Seligkeit betrunken sein von Deinem Wesen, oh Arunachala!
24. Du wirst gerühmt als einer, der seine Verehrer tötet. Wie könnte ich überleben, da ich Dich umarmt habe, oh Arunachala?
25a. Du kennst keinen Ärger. Was habe ich getan, dass Du so zornig auf mich bist, oh Arunachala?[6]
26. Du wunderbarer Berg der Liebe, den Gautama[7] pries, herrsche über mich durch Deinen Gnadenblick, oh Arunachala!
27. Blendende Sonne, Du verschlingst das ganze Universum mit Deinen Strahlen. Öffne den Lotus meines Herzens, ich flehe Dich an, oh Arunachala!
28a. Ich bin Deine Beute und will mich Dir unterwerfen, verzehrt werden und so Frieden finden, oh Arunachala!
28b. Ich bin gekommen, um mich an Dir zu nähren, aber Du hast Dich an mir genährt. Jetzt herrscht Friede, oh Arunachala!
29. Mond der Gnade, öffne mit Deinen kühlen Strahlenhänden (in mir) die himmlische Pforte und lass mein Herz jubeln, oh Arunachala!
30. Streif diese Kleider von mir ab, enthülle mich, so dass ich nackt bin, dann bekleide mich mit Deiner Liebe, oh Arunachala!
31. Verweile still (in meinem Herzen), damit sich das Meer der Seligkeit auftürmt und Sprache und Gefühle darin untergehen, oh Arunachala!
32. Täusche und prüfe mich nicht weiterhin. Enthülle vielmehr Dein transzendentes Selbst, oh Arunachala!
33. Gewähre mir die Erkenntnis des ewigen Lebens, damit ich die wunderbare grundlegende Weisheit erlerne und die Täuschung dieser Welt meide, oh Arunachala!
34. Wenn Du mich nicht umarmst, vergehe ich in Tränen der Sehnsucht, oh Arunachala!
35. Wenn Du mich zurückweist, was bleibt mir dann als die Qual meines prarabdha?[8] Welche Hoffnung kann ich dann noch haben, oh Arunachala?
36. Im Schweigen sagst Du: „Sei still“ und stehst selbst still da, oh Arunachala!
37. Glück liegt in der friedvollen Ruhe, deren man sich erfreut, wenn man im Selbst bleibt. Dein Heldenmut, im Selbst zu bleiben, ist jenseits der Sprache. Jenseits der Sprache ist auch mein Zustand, oh Arunachala! [9]
38a. Du hast einst Deinen Heldenmut gezeigt, und die Gefahren waren vorüber. Kehre nun zu Deiner Ruhestatt zurück, oh Arunachala!
38b. Oh Sonne! Du brachst hervor und die (Belagerung durch die) Illusion war beendet! Dann erstrahltest Du bewegungslos (allein), oh Arunachala!
39a. (Ein Hund kann seinen Herrn am Geruch erkennen.) Bin ich denn geringer als ein Hund? Beständig will ich Dich suchen und zurückgewinnen, oh Arunachala!
39b. Ich bin geringer als ein Hund, (weil ich nicht so gut wie er riechen kann). Wie kann ich Dich dann (nach Hause) zurückverfolgen, oh Arunachala?[10]
40. Gewähre mir Weisheit, ich flehe Dich an, damit ich mich nicht in Unwissenheit aus Liebe zu Dir verzehre, oh Arunachala!
41a. Da Du die Blume nicht geöffnet vorfandst, warst Du wie eine (enttäuschte) Honigbiene, oh Arunachala!
41b. (Im Sonnenlicht erblüht der Lotus). Wie kannst Du, der Du die Sonne aller Sonnen bist, dann vor mir wie eine Honigbiene in der Luft schweben und sagen: „Du blühst noch nicht!“, oh Arunachala?
42. Sprich, (wenn es so ist): „Du hast das Selbst verwirklicht, ohne zu wissen, dass Es die Wahrheit ist. Das ist die Wahrheit“, oh Arunachala!
43a. Offenbare Dich! Du bist die Wirklichkeit, oh Arunachala!
43b. „Wirklichkeit ist nichts anderes als das Selbst“, ist das nicht Deine einzige Botschaft oh Arunachala?
44. Du weist mich an: „Wende dich nach innen und suche stets das Selbst mit dem inneren Auge, dann wirst du es finden“,  geliebter Arunachala!
45a. Ich habe Dich im Innern gesucht. Aber meine Suche war schwach und ich kam (ohne Belohnung) wieder zurück. Hilf mir, oh Arunachala!
45b. Meine Anstrengung war nur schwach, aber durch Deine Gnade gewann ich das Selbst, oh Arunachala!
45c. Ich habe Dich im unendlichen Selbst gesucht und dadurch mein eigenes (Selbst) zurückgewonnen, oh Arunachala!
46. Welchen Wert hat diese Geburt ohne die Erkenntnis, die aus der Verwirklichung kommt? Es ist nicht einmal wert, darüber zu sprechen, oh Arunachala!
47a. Lass mich ins wahre Selbst hinabtauchen, wohin nur jene, die rein in Geist und Rede sind, eingehen, oh Arunachala!
47b. Durch Deine Gnade bin ich in Deinem Selbst versunken, wohin nur jene eingehen, die ihres Geistes beraubt sind und so gereinigt wurden, oh Arunachala!
48. Als ich bei Dir, meinem einzigen Gott, Zuflucht suchte, hast Du mich völlig vernichtet, oh Arunachala!
49. Du Kleinod der gütigen und heiligen Gnade, das ungesucht gefunden wird, festige meinen wandernden Geist, oh Arunachala!
50. Als ich voller Mut Dein wahres Selbst suchte, kenterte mein Floß und die Flut kam über mich. Hab Erbarmen mit mir, oh Arunachala!
51a. Solange Du mir nicht Deine gnadenreiche Hand erbarmungsvoll entgegenstreckst und mich umarmst, bin ich verloren, oh Arunachala!
51b. Umarme mich fest, Körper und Glieder, oder ich bin verloren, oh Arunachala!
52. Du Unbefleckter, weile in meinem Herzen, sodass unvergängliche Freude darin wohne, oh Arunachala!
53a. Verspotte mich nicht, der ich Deinen Schutz suche! Schmücke mich mit Deiner Gnade und schenke mir dann Deine Aufmerksamkeit, oh Arunachala!
53b. Lächle gnädig und nicht höhnisch über mich, der Deinen Schutz sucht, oh Arunachala!
54a. Als ich mich Dir nahte, neigtest Du Dich nicht (mir zu), sondern standst unbewegt und eins mit mir, oh Arunachala!
54b. Ist es keine Schande, dass Du wie ein unbeweglicher Pfosten dastehst und (es mir überlässt,) Dich zu finden, oh Arunachala!
55. Lass den Regen Deiner Gnade auf mich strömen, bevor mich Deine Erkenntnis zu Asche verbrennt, oh Arunachala!
56. Vereinige Dich mit mir, vernichte (unsere getrennten Persönlichkeiten von) Du und ich und segne mich mit stets lebendiger Freude, oh Arunachala!
57a. Wann werde ich wie der Äther sein und Dich erreichen, Du subtiles Sein, so dass der Sturm der Gedanken enden möge, oh Arunachala!
57b. Wann werden die Wellen der Gedanken aufhören, sich zu erheben? Wann werde ich Dich erreichen, der Du feiner als der feinste Äther bist, oh Arunachala?
58a. Ich bin ein armer Tor ohne Gelehrsamkeit. Vertreib Du meine Illusion, oh Arunachala!
58b. Zerstöre mein falsches Wissen, ich flehe Dich an, denn ich kenne nicht die heiligen Schriften, oh Arunachala!
59. Als ich zerschmolz und zu Dir einging, meine Zuflucht, da fand ich Dich nackt dastehen (wie der berühmte Digambara[11]), oh Arunachala!
60. In meinem liebeleeren Selbst hast Du eine Leidenschaft für Dich entfacht. Deshalb verlass mich nicht, oh Arunachala!
61a. Verschrumpeltes und verdorbenes Obst ist wertlos. So nimm die reife Frucht und genieße sie, oh Arunachala!
61b. Ich bin nicht (wie) eine Frucht, die überreif und verdorben ist. Zieh mich ins Innerste (des Herzens) und halte mich dort für immer fest, oh Arunachala!
62a. Warst Du etwa schlau, dass Du Dich für mich eingetauscht hast, (da meine Individualität verloren ist)? Du bedeutest für mich den Tod, oh Arunachala!
62b. Warst Du etwa schlau, dass Du Dich für mich eingetauscht, (alles gegeben und nichts dafür erhalten) hast? Bist Du nicht blind, oh Arunachala?
63. Sieh mich an! Denk an mich! Berühre mich![12] Mach mich reif! Mach mich eins mit Dir, oh Arunachala!
64. Gewähre mir Deine Gnade, bevor das Gift der Illusion mich erfasst, mir zu Kopf steigt und mich tötet, oh Arunachala!
65. Sieh mich an und vertreibe meine Täuschung! Tust Du es nicht, wer könnte dann bei Dir um Gnade für mich bitten, oh Arunachala?
66. Du hast mich durch den Wahn nach Dir vom Wahn (nach der Welt) befreit. Heile mich nun von allem Wahn, oh Arunachala!
67. Furchtlos suche ich Dich, der Du die Furchtlosigkeit bist! Wie kannst Du Dich dann davor fürchten, mich zu nehmen, oh Arunachala?
68. Wo ist (meine) Unkenntnis (Deiner) Weisheit, wenn ich doch gesegnet bin, mit Dir eins zu sein, oh Arunachala?[13]
69a. Mein Geist ist erblüht. Lass ihn Deinen Duft riechen und mach ihn vollkommen, oh Arunachala!
69b. Vermähle mich mit Dir, ich flehe Dich an, und lass diesen Geist, der jetzt mit der Welt vermählt ist, mit der Vollkommenheit vermählt sein, oh Arunachala!
70. Nur der Gedanke an Dich hat mich zu Dir gezogen. Wer kann Deine Herrlichkeit ermessen, oh Arunachala?
71. Du hast mich in Besitz genommen, Du Geist, den man nicht austreiben kann, und mich verrückt (nach Dir) gemacht, damit ich kein Gespenst mehr bin, (das durch die Welt wandert,) oh Arunachala!
72. Sei Du mein Halt und meine Hilfe, damit ich nicht herabhänge wie eine zarte Kletterpflanze, (die sich an nichts festhalten kann,) oh Arunachala!
73. Du hast mich mit heiliger Asche betäubt,[14] mich meines Verstandes beraubt und die Erkenntnis Deines Selbst offenbart, oh Arunachala!
74. Zeig mir die Kampfweise Deiner Gnade im offenen Feld, wo es kein Kommen und Gehen gibt, oh Arunachala!
75. Da ich nicht mehr an der körperlichen Gestalt hafte, die aus den (fünf) Elementen besteht, lass mich für immer glücklich ruhen im Anblick Deiner Herrlichkeit, oh Arunachala!
76. Du hast mir die Arznei gegen die Verwirrung verabreicht. Muss ich (weiterhin) verwirrt sein? Scheine mir als Gnade, das Heilmittel gegen alle Verwirrung, oh Arunachala!
77. Erstrahle selbstlos und schwäche den Stolz derer, die mit ihrem freien Willen prahlen, oh Arunachala!
78. Ich bin ein Tor, der nur dann betet, wenn er (von Unglück) überwältigt wird. Enttäusche mich dennoch nicht, oh Aruanchala!
79. Leite mich, damit ich nicht wie ein führerloses Schiff umhertreibe, oh Arunachala!
80. Du hast den Knoten zerschlagen, der die Sicht auf Deinen Kopf und Fuß (das unbegrenzte Selbst) verborgen hat. Willst Du nicht jetzt in mütterlicher Liebe Dein Werk vollenden, oh Arunachala![15]
81. Sei nicht (wie) ein Spiegel, den man (zum Hohn) einem Nasenlosen vorhält, sondern erhebe mich (aus meiner Niedrigkeit) und umarme mich, oh Arunachala!
82. Wir wollen uns auf dem Blütenlager, dem Geist, umarmen, im innersten Raum des Körpers (oder der höchsten Wahrheit), oh Arunachala!
83. Wie hast Du Berühmtheit erlangt, da Du Dich beständig nur mit den Armen und Niedrigen vereinst, oh Arunachala?
84. Du hast die Blindheit der Unwissenheit mit der Salbe Deiner Gnade beseitigt. Damit wurde ich wahrhaft Dein, oh Arunachala!
85. Du hast mir das Haar geschoren, (womit ich für die Welt verloren war). Dann hast Du Dich (mir gezeigt), tanzend im transzendenten Raum, oh Arunachala!
86a. Obwohl Du mich aus dem Nebel der Illusion befreit und verrückt nach Dir gemacht hast, hast Du mich noch nicht von der Illusion befreit. Warum, oh Arunachala?
86b. Obwohl Du mich für die Welt unempfänglich gemacht und bewirkt hast, dass ich an Dir festhalte, hat sich Deine Leidenschaft für mich nicht abgekühlt, oh Arunachala!
87. Ist es denn wahre Stille, wie ein unbeweglicher Stein zu bleiben und sich nicht zu entfalten, oh Aruanchala?
88. Wer hat mir Dreck als Nahrung hingeworfen[16] und mich meiner Lebensgrundlage beraubt, oh Arunachala!
89. Wer hat, von allen unbemerkt, mich betäubt und mir meine Seele geraubt, oh Arunachala?
90. So spreche ich zu Dir, weil Du mein Herr bist. Sei nicht beleidigt, sondern komm und mach mich glücklich, oh Arunachala!
91. Wir wollen uns aneinander freuen im Haus des offenen Raumes, wo es weder Nacht noch Tag gibt, oh Arunachala![17]
92. Du wähltest mich zum Ziel für Deine Liebespfeile und verschlangst mich dann lebendig, oh Arunachala!
93. Du bist das höchste Wesen, während ich nicht zähle, weder in dieser noch in der anderen Welt. Was hast Du denn durch mein wertlosen Sein gewonnen, oh Arunachala?
94. Hast Du mich nicht hereingerufen? Ich bin gekommen. Jetzt musst Du für mich sorgen. Hart ist Dein Los, oh Arunachala!
95. In dem Augenblick, als Du mich willkommen hießest, in mich eintratst und mir Dein göttliches Leben schenktest, verlor ich meine Individualität, oh Arunachala!
96. Segne mich, damit ich im Sterben nicht den Halt an Dir verliere, oder (mein künftiges Schicksal) wird schlimm sein, oh Arunachala!
97. Du hast mich von Zuhause weggelockt, hast Dich dann in mein Herz gestohlen und mich sanft in Deines hineingezogen. (So ist) Deine Gnade, oh Arunachala!
98. Ich habe Dein (heimliches) Tun aller Welt verraten. Sei deshalb nicht beleidigt. Zeig mir jetzt offen Deine Gnade und rette mich, oh Arunachala!
99. Gewähre mir die Essenz der Veden, wie sie im Vedanta als das Eine ohne ein Zweites aufleuchtet, oh Arunachala!
100a. Betrachte selbst meine Verleumdungen als Lobpreis und schütze mich für immer als Dein Eigentum, ich flehe Dich an, oh Arunachala!
100b. Gib, dass selbst Verleumdung mir als Lobpreis gelte, und schütze mich für immer als Dein Eigentum, ich flehe Dich an, oh Arunachala!
100c. Leg (Deine Hand) auf meinen Kopf! Mach mich zum Teilhaber Deiner Gnade! Verlass mich nicht, ich flehe Dich an, oh Arunachala!
101. Wie Schnee zu Wasser schmilzt, lass mich als Liebe in Dir zerschmelzen, der Du die Liebe bist, oh Arunachala!
102. Kaum habe ich an Dich als Aruna[18] gedacht, da war ich auch schon in Deiner Gnadenfalle gefangen! Kann das Netz Deiner Gnade jemals sein Ziel verfehlen, oh Arunachala?
103. Wie eine Spinne hast Du mich beobachtet, um mich in Deinem Netz (der Gnade) zu fangen. Du hast mich eingesponnen, und als ich gefangen war, hast Du mich verschlungen, oh Arunachala!
104. Lass mich der Verehrer jener sein, die Deinen Namen in Liebe verehren, oh Arunachala!
105. Sei der liebende Retter der Hilflosen, wie ich einer bin, die Dich flehentlich bitten, oh Arunachala!
106. Vertraut sind Deinen Ohren die süßen Lieder Deiner Verehrer, die sich in Liebe zu Dir ganz verzehren. Nimm dennoch auch mein armseliges Stammeln an, oh Arunachala!
107. Du Berg der Geduld, hab Nachsicht mit meinen dummen Worten! (Betrachte sie) als Lieder der Freude oder wie es Dir gefällt, oh Arunachala!
108. Oh Arunachala, mein geliebter Herr! Leg Deine Girlande (um meine Schultern) und trage diese hier, die ich für Dich gewunden habe, oh Arunachala!
Gesegnet sei Arunachala! Gesegnet seien seine Verehrer! Gesegnet sei diese Hochzeitsgirlande aus Buchstaben!


[1] ein anderer Name für Ganesha
[2] Das Tamilwort alagu und das Sanskritwort sundara bedeuten beide „Schönheit“. Alagu und Sundara sind auch die Namen von Sri Ramanas Eltern Agammal und Sundaram.
[3] Alternativ TMP Mahadevan: Du Meer der Gnade in der Gestalt des Berges …
[4] Alternativ TMP Mahadevan: Lass mich nicht in die Fänge derer geraten, die grausam und hinterlistig sind. Gewähre mir Deine Gnade und die Vereinigung mit Dir.
[5] In der Überlieferung taucht an verschiedener Stelle das Beispiel von der Nelli-Frucht auf, die man in der flachen Hand hält, mit der Bedeutung, dass die Wahrheit so klar und eindeutig erfahrbar ist wie diese Frucht.
[6] Alternativ TMP Mahadevan: Du kennst keinen Ärger und besitzt alle guten Eigenschaften. Was habe ich Verdienstvolles getan, dass Du mich als Ziel erwählt hast? Oder: Was habe ich Schlechtes getan, dass Du mich Dir als Ziel erwählt hast?
[7] Gautama ist ein Hindu-Heiliger, der auf dem Arunachala wohnte.
[8] Prarabdha ist der Teil des Schicksals, der auf Handlungen in vergangenen Geburten beruht, die in der jetzigen Geburt zur Auswirkung kommen.
[9] Alternativ TMP Mahadevan: Ohne etwas zu tun, still zu sein, wenn ich das Glück und den Schlaf genieße –  welchen anderen Weg gibt es als diesen, sag?
[10] Alternativ TMP Mahadevan: Durch welche Kraft kann ich mich Dir nahen und Dich erlangen, da ich geringer als ein Hund bin?
[11] Digambara, von dik – alle Himmelsrichtungen und amba – Kleidung, d.h. einer, der in alle Himmelsrichtung gekleidet ist, in anderen Worten, der nackt umhergeht.
[12] Das bezieht sich auf die drei Arten der Einweihung durch Blick, Gedanke und Berührung.
[13] Alternativ nach TMP Mahadevan: Sag, was ist falsches Wissen? Was ist richtiges Wissen? Gewähre mir die Gnade, dass ich letzteres erlange.
[14] Dieser Vers spielt auf die Wanderasketen an, die Kinder bezaubern, indem sie sie mit heiliger Asche zeichnen und als ihre Schüler von Zuhause entführen.
[15] Das Zerschlagen des Knotens, der den Menschen an die Illusion bindet, bedeutet die Erlangung von nirvikalpa samadhi (den höchsten Zustand der Konzentration, in dem alle Zweiheit vorübergehend verschwindet). Die Vollendung der Aufgabe bedeutet, den Zustand von sahaja samadhi (den natürliche Zustand der Einheit, der beständig ist) zu erreichen.
Alternativ nach TMP Mahadevan: Du musst, wie eine Mutter, den Knoten der Unwissenheit lösen, dessen Anfang und Ende nicht ausfindig zu machen sind. Ich kann ihn nicht selber lösen.
[16] Wörtlich: Wer hat mir Dreck in den Mund geworfen?, was so viel bedeutet wie: Wer hat mich ruiniert? Der tieferer Sinn des Verses ist: Wer war es, der mich zum Individuum gemacht und mich des vollkommenen Seins beraubt hat?
[17] eine Anspielung auf die Höhle des Herzens, die jenseits von Raum und Zeit ist
[18] Arunachala, wörtl. Sanskrit: das rote Glühen der aufgehenden Sonne

Samstag, 27. Oktober 2012

Gespräche mit Ramana Maharshi



http://talksramana.blogspot.de/

Samstag, 4. Juni 2011

Die Essenz der Bhagavad Gita


Eine fortlaufende Prosa-Übersetzung von 42 Verse aus der Bhagavad Gita, die Ramana Maharshi für jene, die an der Selbstergründung interessiert sind, ausgewählt und neu geordnet hat. In diesen Versen zeigt Bhagavan dem Sucher auf, was und mit welchen Mitteln er suchen muss.

Eine Übersetzung von Miles Wrights Übertragung aus dem Sanskrit.

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Sanjaya (der Erzähler):
Madhusudana1 (Sri Bhagavan/Krishna) sprach folgende Worte zu Arjuna, der niedergeschlagen und mit verstörten und tränennassen Augen von Mitgefühl überwältigt war.

Sri Bhagavan (Krishna) sagte:
»Dieser Körper, oh Sohn von Kunti2, nennt man ›das Feld‹ (Kshetra)3. Die Weisen nennen einen, der dieses Kshetra kennt ›den Kenner des Feldes‹. Wisse zudem, dass ›Ich‹ der Kenner des Feldes in allen Feldern bin. Ich erachte das Wissen über das Feld und denjenigen, der es erkennt, als die eigentliche Erkenntnis. Ich bin das Selbst, o Gudakesa, das im Herzen aller Lebewesen wohnt. Ich bin der Anfang, die Mitte und auch das Ende aller Lebewesen. Denn für das Geborene ist der Tod gewiss und für das Gestorbene die Geburt. Deshalb sollst du dich über das Unvermeidliche nicht betrüben. Er wurde weder geboren, noch stirbt Er. Da Er immer schon existiert, wird Er auch nicht wieder zu existieren aufhören. Ungeboren, ewig und unvergänglich ist das Selbst, das Uralte. Es wird nicht getötet, wenn der Körper getötet wird.

Dieses Selbst kann nicht zerschnitten werden. Dieses Selbst kann nicht verbrannt werden. Dieses Selbst kann nicht nass werden. Dieses Selbst kann nicht verdorren. Es ist ewig, allgegenwärtig, dauerhaft, unbeweglich und immerwährend. Wisse, dass DAS [das Selbst], von dem alles durchdrungen wird, tatsächlich unvergänglich ist. Niemand kann das Unwandelbare zerstören. Das Unwirkliche wird nie für wirklich gehalten. Das Wirkliche wird nie für unwirklich gehalten. Die endgültige Wahrheit über diese beiden [Tatsachen] wurde von den Sehern der Wahrheit erkannt. Wie der allgegenwärtige Äther nicht befleckt werden kann, weil er nicht greifbar ist, so bleibt auch das Selbst in jedem Fall unbefleckt, obwohl es im Körper seine Wohnstatt hat. Es wird weder von der Sonne noch vom Mond noch vom Feuer erhellt.

Jene, die ins Nicht-Manifeste eingegangen sind, kehren nie wieder zurück. Es ist Meine höchste Wohnstatt. Dieses Nicht-Manifeste [Wohnstatt] nennt man das Unvergängliche (OM). Man nennt es das höchste Ziel. Wenn sie es einmal erlangt haben, kehren sie nie wieder zurück. Es ist Meine höchste Wohnstatt.

Jene, die frei von Stolz und Täuschung sind, die die schädlichen Auswirkungen der Anhaftung überwunden haben, die immer im Selbst verweilen, die am Ende der Wünsche und von den Gegensätzen wie Freude und Leid befreit sind, jene, die sich nicht irreführen lassen, erlangen diese ewige Heimat.

Doch derjenige, der die Anweisungen der Schriften missachtet und stattdessen den Impulsen seiner Wünsche folgt, erlangt weder die Vollendung noch Glück noch den Höchsten Pfad [der Selbstergründung]. Jener, der erkennt, dass der Höchste Herr in allen Lebewesen gleichermaßen wohnt, das Unvergängliche im Vergänglichen, ist jener, der wahrhaft sehend ist. Nur durch ungeteilte Hingabe kann man mich so erkennen und sehen, wie ich wirklich bin, oh Arjuna, und tatsächlich in mich eingehen.

Das Vertrauen eines jeden Menschen entspricht seiner Sinnesart [sei sie sattva (rein), rajas (leidenschaftlich), tamas (träge) usw.] Der Mensch besteht aus Vertrauen. Wie sein Vertrauen, so ist auch er. Der vertrauensvolle Mensch, der allein mit DEM beschäftigt ist, der seine Sinne unter Kontrolle hat, erlangt die Erkenntnis (Jnana). Hat er einmal Erkenntnis erlangt, findet er bald den höchsten Frieden. Jenen, die Mich beständig mit Hingabe verehren, gebe ich den Yoga des Verstandes (die Selbstergründung, s. Gespräch 112), durch den sie zu Mir kommen. Aus Mitleid mit ihnen vertreibe Ich, der Ich in ihrem Selbst weile, ihre aus Unkenntnis entstandene Unwissenheit mit der leuchtenden Lampe der Erkenntnis. Bei jenen, deren Unwissenheit durch die Erkenntnis des Selbst vernichtet worden ist, offenbart diese Erkenntnis wie die Sonne das Höchste in ihnen.

Es heißt, dass die Sinne machtvoll sind. Über den Sinnen steht das Denken. Über dem Denken steht der Verstand. Aber noch höher als der Verstand steht Er, das Selbst von allen. Wenn du somit erkennst, dass Er (das Selbst) über dem Verstand steht und dich selbst im Selbst gefestigt hast, dann töte den schlüpfrigen Feind (ahamkaram, das Ego), der so schwer zu finden ist. So wie ein loderndes Feuer Brennstoff zu Asche verbrennt, so verbrennt das Feuer der Erkenntnis alle Handlungen zu Asche. Jenen, dessen Unternehmungen frei vom Wunsch nach Ergebnissen sind und dessen Handlungen völlig vom Feuer der Erkenntnis verzehrt worden sind, nennen die Erkennenden einen ›Weisen‹. Das Eintauchen ins Selbst ist hier und jetzt jenen zugesichert, die sich bemüht und ihre Gedanken kontrolliert haben, die sich von Ärger und materiellen Wünschen befreit und das Selbst verwirklicht haben.

Allmählich sollte man vom Handeln ablassen. Indem man den Verstand eisern festhält und den Geist einzig im Selbst ruhen lässt, sollte man sein Denken auf nichts richten. Sooft der unruhige und unstete Geist nach außen wandert, sollte man ihn wieder zurückziehen, ihn unterwerfen und ihn einzig im Selbst ruhen lassen. [Somit] ist der Weise, der seine Sinne, seinen Geist und Verstand unter Kontrolle hat und dessen einziges Ziel die Befreiung ist, der frei ist von Wunsch, Angst und Zorn, tatsächlich befreit. Der Selbstverwirklichte sieht das Selbst in allen Geschöpfen und alle Geschöpfe im Selbst. Er betrachtet alles unvoreingenommen. (s. Gespräch 319). Ich biete jenen Menschen Sicherheit und Wohlergehen, die Mich mit beständiger Entschlossenheit verehren, ohne an etwas anderes zu denken.

Von ihnen ist der Weise der Hervorragendste, der seine Aufmerksamkeit immer auf das Eine richtet und ihm ergeben ist, denn Ich bin dem Weisen überaus lieb und er ist Mir überaus lieb. Am Ende vieler Geburten nimmt der Weise in Mir seine Zuflucht. Er weiß: ›Vasudeva [Bhagavan, Krishna] ist das Selbst, das allem innewohnt.‹ Solch eine große Seele ist tatsächlich schwer zu finden.

Wenn jemand alle Wunschobjekte, die ständig den Geist durchfluten, aufgibt und allein im Selbst durch das Selbst zufrieden ist, dann bezeichnet man ihn als einen, der ›in der Weisheit gefestigt‹ ist. Jener, der alle Wunschobjekte aufgibt, frei von Verlangen und ohne das Gefühl von ›Ich‹ und ›mein‹ umherwandert, der erlangt den Frieden. Jener, der weder die Welt verstimmt, noch von ihr verstimmt wird, der befreit ist von Freude und Ärger, Sorge und Angst, der ist Mir lieb. Wer derselbe ist in Ehre und Schande, für Freund und Feind und alles persönliche Bestreben aufgegeben hat, von dem sagt man, dass er die Gunas4 überwunden hat.

Wer sich allein im Selbst erfreut, ist mit dem Selbst völlig gesättigt und im Selbst allein zufrieden. Für ihn gibt es nichts zu tun. Für ihn gibt es nichts, das er durch Handeln in dieser Welt erlangen müsste, noch gibt es etwas, das nicht getan werden müsste, noch ist er wegen irgendetwas von jemandem abhängig. Zufrieden mit dem, was immer die Gnade bringen mag, frei von den Gegensätzen, frei von Neid, gleich in Erfolg und Misserfolg ist er nie gebunden, obwohl er handelt.

Der Herr wohnt im Herzen aller Lebewesen, o Arjuna, und wirbelt sie durch seine unheimliche Kraft umher, als wären sie an ein karusellähnliches Universum montiert. Suche bei Ihm allein Zuflucht mit deinem ganzen Sein. Nur durch Seine Gnade wirst du diesen höchsten Frieden, die ewige Wohnstatt erlangen.«



Verweise auf »Gespräche mit Ramana Maharshi«



Talks with Sri Ramana Maharshi. - Sri Ramanasramam
gedruckt oder als kostenloser Download:
http://www.sriramanamaharshi.org/bookstall/downloadbooks.html

Aus Gespräch 112 (17.12.1935): über den Intellekt:


Der Engländer [Paul Brunton] erwähnte gelegentlich, dass es in vorgeschichtlicher Zeit zwar Spiritualität, aber keinen großen Intellekt gegeben habe. Dieser habe sich erst später entwickelt.
Sri Bhagavan wies darauf hin, dass es der Intellekt sei, der die Frage »Wessen Intellekt?« stelle. Die Antwort heiße: »Der Intellekt des Selbst«. Also ist der Intellekt ein Werkzeug des Selbst. Das Selbst nutzt den Intellekt, um die Vielfalt zu bemessen. Der Intellekt ist weder das Selbst noch vom Selbst getrennt. Nur das Selbst ist ewig. Der Intellekt ist lediglich eine Erscheinungsform. Die Leute sind der Ansicht, dass die Entwicklung der Daseinsformen die Entwicklung des Intellekts hervorgebracht hätte. Aber der Intellekt war schon immer da. Der Schöpfer schafft heute wie früher. Betrachte täglich deinen eigenen Zustand. Im traumlosen Schlaf gibt es keinen Intellekt, aber jetzt. Das kleine Kind besitzt keinen Intellekt. Er entwickelt sich erst mit den Jahren. Wie könnte der Intellekt sich zeigen, ohne dass sein Same im Tiefschlaf und im Kind vorhanden wäre? Warum muss man diese grundlegende Tatsache erst aus der Geschichte lernen? Der Wahrheitsgrad der Geschichte entspricht lediglich dem Wahrheitsgrad des Individuums.



Aus Gespräch 319 (7.1.1937): über den Gleichmut:

Frager: »[In der Bhagavad Gita] steht: ›Yoga ist Gleichmut.‹ Was ist mit diesem Gleichmut gemeint?«
Maharshi: »Einheit in der Vielfalt. Das Universum wird jetzt für vielfältig gehalten. Betrachte das Gemeinsame in allen Dingen! Wenn du das tust, folgt daraus natürlicherweise das Empfinden der Gleichheit in den Gegensätzen. Das ist üblicherweise damit gemeint, wenn von ›Gleichmut‹ gesprochen wird.«

1Krishna gilt als der Vernichter des Dämons Madhu (hier im Sinn von Vernichter der Unwissenheit)
2i.e. Arujuna
3ein abgegrenzter Bereich, der Körper, die Materie
4Gunas: die drei grundlegenden Neigungen: Reinheit, Leidenschaftlichkeit und Trägheit

Sonntag, 21. November 2010

Arunachala Pancharatna

Arunachala Pancharatna - Fünf Verse für Arunachala
s.a. ebook

Die fünf Bhakti-Verse, in denen Arunachala als Manifestation des höchsten Selbst verehrt wird, sind reich an Symbolik. Sri Ramana Maharshi hat sie 1917 auf Bitte von Ganapati Muni geschrieben. Von seinen fünf Gedichten für Arunachala ist es das letzte und einzige in Sanskrit.

Dies ist die deutsche Übersetzung von Arunachala Pancharatna, die Miles Wright aus dem Sanskrit ins Englische übertragen und kommentiert hat:




 Arunachala mit seinen fünf Bergspitzen von Miles Wright


1. Du Meer der Gnade
verschlingst dass vielfältige All in Deinem unendlichen Licht.
Oh Arunachala, höchstes Selbst, sei die aufgehende Sonne,
damit der Lotus des Herzens erblühe.


Viele sehen in Arunagiri (Arunachala) eine Verkörperung von Sat (Sein), der Wirklichkeit. Als solche steht Arunachala regungslos da und verbreitet unermessliche Gnade. Man muss nur den nach außen gerichteten Geist auf ihn hin lenken. So heißt es im Arunachala Mahatyam: »Wenn man Chidambaram sieht, in Kasi geboren wurde oder nur an Arunachala denkt, erlangt man die Befreiung.«

Ramana schrieb in einem Brief an Ganapati Muni: »Aham-Sphurana ist ein Zeichen der bevorstehenden direkten Erfahrung des Selbst. Wenn der reine Geist seine Aufmerksamkeit beständig darauf gerichtet hält, wird das nach unten gerichtete Herz nach oben gerichtet, erblüht und verbleibt als Gestalt des Selbst. Deshalb ist die Aufmerksamkeit auf die Quelle des Aham-Sphurana der einzige Weg. Wenn man sich ihr auf diese Weise widmet, bleibt einzig das Selbst, die Wirklichkeit, als ›ich bin ich‹ im Herzzentrum bestehen.«1

Wie die Sonne immer scheint, auch wenn wir sie nicht sehen, so erstrahlt Arunachala im Herzen aller Lebewesen als das Selbst, ungeachtet jeglicher eingeschränkter Sichtweise. Obwohl die Leben spendende Sonne immer da ist, geht sie scheinbar am Morgen auf und bringt die Lotosknospe zum erblühen, wenn sie reif ist und die trüben Gewässer hinter sich gelassen hat. Ebenso ist es hier. Obwohl die Gnade Arunachalas immer erstrahlt, scheint der Knoten des Herzens fest verschnürt zu sein, bis die reifende Wirkung von Atma Vichara (der Selbstergründung) den Geist reinigt und den unaufhaltsamen Sog in seine Quelle, das Herzzentrum, bewirkt. Dann erstrahlt das grenzenlose Licht des Selbst als vollständiges All wie immer, als ›ich bin ich‹. Das ist der Tagesanbruch, den der Devotee ersehnt. Die Gnade wird nie verliehen. Sie ist immer da. Wenn der Devotee sich sehr um die Verwirklichung bemüht und dabei die Wolke der Geisteskonzepte vertreibt, bleibt grenzenlose Gnade übrig.



2. Oh Arunachala, in Dir wird alles verschlungen,
das Bild der Erscheinungen, das erschaffen und erhalten wurde.
Du tanzt von Natur aus als ›Ich‹ im Herzen.
Man nennt dich ›Herz‹, oh Herr.


»Wie die Spinne ihr Netz aus ihrem eigenen Maul heraus spinnt und es dann wieder in sich selbst hineinzieht, bringt der Geist die Fülle der Welt hervor und zieht sie wieder in sich hinein.
Wenn sich der Geist dem Gehirn und den Sinnen zuwendet, drängen Gestalten und Namen von innen hervor. Wenn er im Herzen verweilt, kehren sie wieder dorthin zurück und liegen dort verborgen.«2

»Ich bin das Selbst, O Gudakesa, und wohne in den Herzen aller Lebewesen. Ich bin der Anfang, die Mitte und auch das Ende aller Lebewesen.«3

Die Welt existiert für beide, den Ajnani und den Jnani. Der Ajnani sieht nur die sichtbare, von sich selbst getrennte Welt, während der Jnani die gestaltlose Wahrheit versteht, die allen Dingen zugrunde liegt, das Zentrum, das keinen Umfang hat, die Quelle des Ich, die Grundlage und Stütze der sichtbaren Welt. Er versteht die Quelle seiner Identität und nennt sie ›Herz‹. Es ist das endgültige Ziel - Sat-Chit-Andanda (Sein-Bewusstsein-Seligkeit). Solange man an den Körper-Geist-Komplex glaubt, sieht man die vielfältige Welt als etwas von sich selbst Getrenntes. Wo aber wäre das Bild ohne die Leinwand, auf die es gemalt wurde?



3. Wer erforscht, wo das ›Ich‹ entsteht,
sich reinen Geistes nach innen wendet
und seine eigene Natur erkennt,
der geht in Dich ein, oh Arunachala, wie der Fluss ins Meer.


»Lass den Geist nicht ausschwärmen, indem du dich fragst: ‚Wer bist du?’ und ’Wer ist er?’ Wende ihn vielmehr nach innen und frage beständig und aufmerksam: ‚Wer bin ich?

Vögel in der Luft und Fische im Wasser hinterlassen keine Spur. Ebenso kann keiner den Weg der Weisen zum Selbst verfolgen.«4

Strahlend und still offenbart sich Arunachala - ein scheinbar empfindungsloser Berg - demjenigen, der ihn als Verkörperung des höchsten Selbst, das Selbst von allen, sieht und durch das reinigende Feuer von Atma Vichara (Selbstergründung) gegangen ist.

Atma Vichara ist das Mittel und das Ziel. Das Ich, das sich erhebt und wieder legt, ist nicht das wahre Ich. Es ist nichts weiter als die unbeständige Wolke, die wandert, sich verändert und sich schließlich entleert, wenn sie sich dem Berg nähert. Wenn der Geist rein wird, eilt er von selbst zu seiner Quelle, wie der Bergstrom zum Meer, und überwindet ohne Mühe alle Hindernisse auf dem Weg. Atma Vichara ist der reinigende Prozess, der den Geist von allen Unreinheiten (Geisteskonzepten) befreit. Nimm die Ergründung »Wer bin ich?« auf. Suche den Blender (das Ego-Ich). Am Ende ist er nirgends zu finden!



4. Der Yogi, der die äußeren Objekte zurückgewiesen hat
und mit beherrschtem Atem und Geist im Innern über Dich meditiert,
der sieht Dein strahlendes Licht, oh Arunachala,
und ist selig in Dir.


»Ein auf dem Wasser treibender Körper sinkt nicht ohne dass man nachhilft. Eine solche Hilfe ist die Atemkontrolle, die den Geist beruhigt. Doch der Geist muss wachsam bleiben und die Meditation muss unablässig fortgesetzt werden, selbst dann, wenn der Geist still geworden ist. Dann sinkt er ins Herz hinab. Man kann den im Wasser treibenden Körper auch beschweren, damit er sinkt. Ebenso lässt der Umgang mit Weisen den Geist ins Herz hinabsinken.«5

»Arunachala, du entwurzelst das Ego derer, die über Dich im Herzen meditieren.«6

Auf der Suche nach Freude strömt der Geist nach außen zu einem Objekt nach dem anderen. Er glaubt, auf diese Weise glücklich zu werden. Nachdem er an einer Sache vorübergehend sein Vergnügen gefunden hat, wandert er eilig zum nächsten und so fort und fort, immer auf der Suche nach dem schwer fassbaren Glück. Durch die Meditation über Sri Arunachalaramana (Atma Vichara) lernt man schließlich, so still zu sein, um den Denker (das Ego-Ich) festhalten zu können und schließlich ein für allemal [ins absolute Sein] zu sinken. Die wahre Natur des Glücks ist ›Selbst-offenbarend‹.

»Es gibt einen Raum im Herzen, der alles enthält. Feuer, Luft, Sonne, Mond und Sterne – alles existiert innen. Wenn wir den Geist mit seiner Fähigkeit zu bemessen und seinen Kategorien von Raum und Zeit überschreiten, finden wir die wahre Grundlage des Universums. Dort sind die Dinge nicht tote Materie, wie die westliche Wissenschaft uns so lange weisgemacht hat, sondern Leben und Intelligenz. Die Menschen im Westen haben sich jahrhundertelang nach außen der Welt der Sinne zugewandt und sich selbst im äußeren Raum verloren. Jetzt ist es an der Zeit, sich nach innen zu wenden und zu lernen, den inneren Raum im Herzen zu ergründen und diese lange und faszinierende Reise zum Zentrum zu unternehmen. Im Vergleich dazu ist die Erforschung des Mondes und der Planeten reines Kinderspiel.«7



5. Mit einem Geist, der Dir unterworfen ist,
betrachtet er stets alles als Deine Erscheinung.
Er verehrt und liebt nur Dich.
Er ist siegreich, oh Arunachala,
eingetaucht in Deine Seligkeit.


Im Narada Bhakti Sutra verkündet Narada in Sutra 35: »Die höchste Hingabe stellt sich nur ein, wenn man die sichtbare Welt - diese Trennung, in der man die gesehenen Dinge als Objekte des Egos bewertet – zurückweist und sich von der Anhaftung an Objekte völlig lossagt.«
Diese Hingabe (Bhakti) ist dasselbe wie die Selbstverwirklichung. Sie ist wunschlose Verehrung.

Frage: »Wie gibt man sich völlig dem Höchsten (Arunachala) hin?«
Antwort: »Wenn sich der Gedanke ›Ich tue das‹ erhebt, ist das keine Hingabe. Hingabe beendet alle Bemühungen. Solange du das Empfinden hast, dem Höchsten zu dienen, ist es immer noch keine Hingabe.«

»Das Handeln, das ohne Anstrengung geschieht, also unwillkürliches Handeln, bringt keine Bindung mit sich.
Selbst ein Jnani handelt und bewegt sich. Es gibt kein Handeln ohne Bemühen und eine Absicht (Sankalpas). Alle haben Absichten. Absichten sind von zweierlei Art: die eine ist bindend (Bandha-hetu) und die andere nicht bindend (Mukti-hetu). Erstere müssen wir aufgeben, letztere pflegen. Ohne vorausgehendes Handeln (Karma) gibt es keine Früchte und ohne eine dem Handeln vorausgehende Absicht (Sankalpas) kein Handeln.«8

Solange man sich an der Individualität festhält, steht man unter dem Einfluss von Genießendem und Handelndem. Wer sich wirklich hingegeben hat, hat keine Absichten mehr. Gib ›ich‹ und ›mein‹ auf. Die höchste Hingabe lebt von der Kraft der Meditation, die ermöglicht wird, wenn der Meditierende und das Objekt der Meditation sich nicht voneinander unterscheiden (wie in der Meditation ›Ich bin Er‹) Dieses Bhakti ist von Atma Vichara nicht verschieden. »Bhakti und Selbstergründung sind dasselbe. Das Selbst der Advaitins ist der Gott der Bhaktas9

»Wie sich das Salz im Meer auflöst und verschwindet, so bin ich im Körper verloren. Aber jetzt sehne ich mich danach, im Glanz Deiner Gnade aufzugehen. Iss mich, oh Herr, verdaue sowohl ›mich‹ als auch ›mein‹. Verwandle mein Sein völlig in Deinen wahren Leib, der Licht ist.«10



Kleines Glossar (eingefügt von Gabriele Ebert)

Advaitin
Anhänger des Advaita, der Lehre der Nicht-Zweiheit, d.h. das Absolute ist nicht zwei; die Grundlehre des Vedanta

Aham-Sphurana
das Pulsieren des »Ich-Ich« im Herzen, die Erfahrung des spirituellen Herzens

Atma Vichara
Selbstergründung, s. http://sites.google.com/site/ramanainfo/atmavichara

Bhakta
einer, der Bhakti übt; einer, der Gott (oder Gott in Gestalt des Gurus) liebt und ihm völlig hingegeben ist

Bhakti
Teilhabe, Hingabe; bezeichnet besonders die religiöse Liebe und Hingabe an Gott

(spirituelles) Herz (Hrdaya)
auf der rechten Seite der Brust ist der ›Sitz‹ der eigenen Ich-Identität. Doch das ›Herz‹ lässt sich nicht hierauf beschränken. Es ist das Zentrum des Seins von allem, das von keinem Umfang begrenzt wird.

Jnani
ein Mensch, der Erkenntnis erlangt hat

Ajnani
ein Mensch ohne Erkenntnis

1 Sri Ramanas Brief an Ganapati Muni in: The Mountain Path, April 1982
2aus Muruganar: Ramana Mandiram
3Bhagavad Gita, X,20
4aus Muruganar: Ramana Mandiram
5aus Talk 223
6Hochzeitsgirlande, Vers 1
7aus: Daily Reading with Bede Griffiths, Darton: Longman & Tod, 1990
8aus Talk 116
9aus Talk 274
10aus Muruganar: Ramana Mandiram